Das „Bündnis-Modell“ gegen Kinderarmut stand im Mittelpunkt des gutbesuchten politischen Frühstücks, zu dem Marja-Liisa Völlers (MdB), der SPD-Unterbezirk Nienburg und die Bürgerinitiative Bedingungsloses Grundeinkommen (BI BGE) in das Gasthaus am Hafen eingeladen hatten.

Sozialethik-Professor Franz Segbers erläuterte das Modell, das vorsieht, die bisherige Kinderförderung „vom Kopf auf die Füße“ zu stellen:

„Pro Kind erhalten Besserverdienende bislang bis zu 300 Euro als Steuerfreibetrag, Normalverdienende 194-223 Euro an Kindergeld, Geringverdienende auf Antrag zusätzlich einen Kinderzuschlag von bis zu 170 Euro. Für die erwerbslosen Familien und Alleinerziehende im ALG II-Bezug entfällt die Kinderförderung dagegen komplett. Ihr Anspruch auf Kindergeld plus Kinderzuschlag wird vom Kindersozialgeld (245-316 Euro) abgezogen. Dieses Klassensystem ist ein sozialpolitischer Skandal! Jedes Kind sollte willkommen sein und gleich gefördert werden!“

In ihrem Eingangs-Statement stellte Völlers das neue Sozialstaatskonzept der Bundes-SPD vor. Dieses beinhaltet neben Bürgergeld, ein Recht auf Weiterbildung, höherem Mindestlohn und Grundrente (ohne Bedürftigkeitsprüfung!) auch eine Kindergrundsicherung. „Niemand darf wegen seiner Kinder arm werden. Und die bisherige Familienförderung garantiert das in unseren Augen nicht“, erklärte Völlers. Das SPD-Konzept der Kindergrundsicherung sieht unter anderem vor, die Kinder aus dem SBG II-Bezug zu holen. Das SGB II-System sei darauf ausgerichtet, Erwerbssuchende zu betreuen und sie in Arbeit zu vermitteln – beides träfe auf Kinder und ihre Bedürfnisse nicht zu.

Die Verarmung, führte Segbers in seinem Vortrag aus, hat inzwischen mit 3 Millionen Kindern und Jugendlichen bis 18 Jahren ein erschreckendes Ausmaß angenommen. Aktuelle Berichte (Kinderarmut im Landkreis Nienburg beunruhigend - SPD-Kreistagsfraktion diskutiert im FUNDUS Kaufhaus) bestätigen dies auch für den Landkreis Nienburg.

Um die Verarmung der finanziell schlecht gestellten Familien und Alleinerziehenden zu überwinden, bildete sich bereits 2009 ein breites zivilgesellschaftliches „Bündnis Kindergrundsicherung“ (www.kinderarmut-hat-folgen.de), dem unter anderem AWO, GEW und Kinderschutzbund angehören. Das 2018 aktualisierte Bündniskonzept verlangt eine steuerfinanzierte Zahlung eines Kinder-Existenzgeldes von 628 Euro monatlich bis zum 18. Lebensjahr. Die Höhe orientiert sich an einem kindgerechten Existenzminimum: dem „sachlichen“ von 408 Euro und einem Betreuungs-, Erziehungs- und Bildungsbedarf von 220 Euro. Junge Erwachsene in Ausbildung oder Studium sollen bis zum 25. Lebensjahr den Mindestbetrag der Kindergrundsicherung von etwa 300 Euro erhalten. Die Kindergrundsicherung soll die meisten der bislang über 150 familienbezogenen Leistungen ersetzen – insbesondere Kinderfreibetrag, Kindergeld, Kinderzuschlag, Kindersozialgeld, Ehegattensplitting und BAföG.

Grant Hendrik Tonne, Niedersächsischer Kultusminister und SPD-Unterbezirk-Vorsitzender, moderierte die abschließende lebhafte Diskussion mit den Gästen. Auch er plädierte für eine Kindergrundsicherung und wies darauf hin, dass kürzlich die Länderkonferenz der Sozialminister mehrheitlich für eine Kindergrundsicherung votiert habe. Unter Federführung Niedersachsens sei im vergangenen Jahr ein erstes Konzept erarbeitet worden.

In kurzen Beiträgen unterstützten Anja Altmann (SPD) sowie Martina Broschei (Piraten) und Peter Schmithüsen (Grüne) das von Professor Segbers aufgezeigte Modell. Für die BI BGE gab Wolfgang Kopf der Erwartung Ausdruck, dass die SPD gemeinsam mit Linken und Grünen spätestens im nächsten Bundestag einen Gesetzentwurf zur Einführung der Kindergrundsicherung einbringt.

Politisches Frühstück: Kindergrundsicherung
Franz Segbers mit den Veranstaltern Marja-Liiisa Völlers (MdB) Wolfgang Kopf (BI BGE) und Grant Hendrik Tonne (SPD-UB Nienburg). Foto: Grosch
Politisches Frühstück: Kindergrundsicherung
Prof. Franz Segbers mit dem Publikum. Foto: Grosch
Politisches Frühstück: Kindergrundsicherung
Marja-Liisa Völlers stellt das Sozialstaatskonzept der SPD vor Foto: Janott