Sehr geehrter Herr Minister Schünemann,

die Abschiebung der Familie Nguyen nach Vietnam am 09.11.2011 haben wir mit Bestürzung und Entsetzen zur Kenntnis nehmen müssen.

Wir begrüßen es daher sehr, dass Sie versuchen der Familie nun wieder die Einreise zu ermöglichen.
Dies muss aus unserer Sicht professionell, schnell und unbürokratisch geschehen.
Aufgrund Ihrer Äußerungen in der Presse stehen Sie persönlich in der Verantwortung, der Familie die Rückkehr zu garantieren.
Weiterhin schreiben wir Ihnen diesen Brief mit der Bitte, die immer noch bestehenden Missstände in der niedersächsischen Gesetzgebung abzustellen und der Familie bei ihrer erneuten Einreise einen guten Start zu ermöglichen.
Dass der Fall aus formalen Gründen in diesem Jahr nicht in der Härtefallkommission behandelt werden konnte, ist für uns nicht nachvollziehbar. Die Verordnung zur Härtefallkommission muss deshalb dringend in Richtung eines humanen Bleiberechts geändert werden. Die Gesetzgebung muss dem Menschen dienen und mit den Menschenrechten und dem Grundgesetz vereinbar sein. Die Verordnung entspricht diesem Grundsatz offensichtlich nicht und bedarf daher einer umfassenden Modernisierung u.a. muss die Sperrminorität durch das 2/3 Zustimmungserfordernis fallen.
Wir fordern Sie darüber hinaus auf, die Gesetzgebung dahingehend zu korrigieren, dass
derartige unmenschliche Abschiebungen nicht wieder vorkommen können und Menschenrechtsverletzungen nicht mehr durch das bestehende Gesetz geduldet bzw. ermöglicht werden. Hierzu erwarten wir eine Bundesratsinitiative aus Niedersachsen.
Weiterhin empfinden wir es für die Mitarbeiter des Landkreises Nienburg/Weser und der
Polizei nicht zumutbar, dass sie im Rahmen ihrer Dienstpflicht dazu angehalten werden, unbescholtene Menschen aus Deutschland abzuschieben. Dies kann zu Gewissenskonflikten und zu großen psychischen Belastungen führen.Die Unterzeichner dieses Schreibens möchten die Angestellten des Landkreises Nienburg/
Weser und die Polizeibeamten/innen in Zukunft davor schützen, in dem das Verfahren
und die Gesetzgebung dahingehend geändert werden, dass Ausweisungen von voll integrierten Mitgliedern der Gesellschaft nicht wieder vorkommen können.
Wir fordern Sie deshalb auf, den zuständigen Behörden nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte die Möglichkeit einzuräumen, eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen nach § 25 Abs. 5 AufenthG zu erteilen, wenn eine Rückkehr in das Herkunftsland nicht mehr zumutbar oder andere humanitäre Gesichtspunkte wie z. B. ein langjähriger Aufenthalt und eine vollständige Integration in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland gewährleistet sind. Hiermit würde auch die derzeit praktizierte inhumane Kettenduldung faktisch abgeschafft.
Dort, wo sich formal rechtmäßiges Handeln in so offenkundiger Weise gegen die Würde des Menschen wendet, bedarf es einer Überarbeitung der Gesetze.
Dies ist aus unserer Sicht auch notwendig, um den Vorgaben des Artikels 8 der europäischen Menschenrechtskonvention nachzukommen. Demnach genießt die Familie einen besonderen Schutz und darf nicht auseinandergerissen werden.
Sobald die Familie Nguyen wieder in Niedersachsen eingereist und vereint ist, muss sie aus unserer Sicht mit einem dauerhaften Aufenthaltsrecht ausgestattet werden, dies bedeutet auch die freie Wohnort- und Arbeitsplatzwahl. Nur so kann die Familie ein menschenwürdiges Leben in Deutschland führen, weiterhin selbstständig ihren Lebensunterhalt erwirtschaften und ihre vorbildliche Integration sichern und weiter vorantreiben.

Mit freundlichen Grüßen
Elke Tonne-Jork, Unterbezirksvorsitzende

gez. Ernst Brunschön, Vorsitzender der Kreistagsfraktion