Beim Bundeskongress der SPD-Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen (AfA) in Kassel hatte Kurt Beck am Wochenende ein Heimspiel, auch wenn er die Anwesenden nicht nachhaltig vom Sinn der Bahnprivatisierung überzeugen konnte.

„Ich fühle mich hier immer noch daheim“, bekannte der SPD-Parteivorsitzende Kurt Beck vor den versammelten sozialdemokratischen Gewerkschaftern und handelte das aus seiner Sicht unangenehmste Thema, die anstehende Teilprivatisierung der Deutschen Bahn AG, in den ersten zehn Minuten ab, um dann mit weniger kontroversen Themen die Herzen der Zuhörer im Saal zu erobern. "Es adelt die SPD, wenn wir keine "Ordre de Mufti"-Politik machen, wenn wir diskutieren. Aber es ist meine Aufgabe, diesen Prozess jetzt zu einer Entscheidung zu bringen." Kurt Beck hob die Einführung eines Post-Mindestlohns hervor und griff die Grünen an, deren Hamburger Koalitionsvereinbarung mit der CDU Arbeiterfamilien in den Rücken falle. „Soziale Gerechtigkeit ist einer der Motoren, die eine Gesellschaft lebendig erhalten“, sagte der Parteichef und geißelte Milliardengehälter für US-Fondsleiter wie deutsche Bankiers, Lidl-Manager und den Nokia-Konzern, die „mit Menschenrechten umgehen, dass es einem den Magen umdreht“.

Beck sprach sich gegen eine Privatisierung von Sparkassen und Genossenschaftsbanken aus und warnte vor einem „Kaputtschlagen der bestehenden Tariftreuegesetze“ in Europa. „Der alte Erhard würde sich im Grab herumdrehen, wenn er wüsste, dass voll Erwerbstätige beim Sozialamt zusätzliches Einkommen beantragen müssen.“ Die SPD werde sich „diesen Entwicklungen mit aller Kraft entgegen stemmen« und werde gleichen Lohn für gleiche Arbeit zu gleichen Bedingungen durchsetzen. „Für Gerechtigkeit und Solidarität zu kämpfen adelt uns – bitte macht mit!“, rief Beck zum Schluss seiner Rede die Delegierten auf und erntete dafür stehende Ovationen.

In einer anderen wichtigen Frage missachtete der Kongress den eindringlichen Rat Becks. Der Parteichef hatte Seitenhiebe gegen DIE LINKE ausgeteilt und auch damit begründet, dass diese europäische Grundlagenverträge ablehne. Wer sich aber gegen den Lissabon-Vertrag stelle, der lasse in Europa einen „Scherbenhaufen“ zurück und „will Menschen fischen statt ehrliche Politik machen“. Als Beck am Spätnachmittag schon längst wieder entschwunden war, wollte der Kongress solchen Warnungen dann doch nicht folgen und verabschiedete mit Mehrheit einen Antrag, der die SPD-Bundestagsabgeordneten explizit auffordert, den Lissabon-Vertrag im Bundestag abzulehnen. Zudem wurde die Forderung verabschiedet, die von der Großen Koalition beschlossene „Rente mit 67“ wieder rückgängig zu machen.

Mindestens gleich viel Applaus wie der SPD-Parteivorsitzende Kurt Beck bekam Rudolf Dreßler, der fast zwei Jahrzehnte lang selbst an der Spitze der AfA gestanden hatte. Er kritisierte „neoliberale, selbst ernannte Modernisierer, die sich die Entsozialdemokratisierung der SPD auf den Leib geschrieben haben“ und forderte die AfA auf, im Richtungsstreit innerhalb der SPD klar Partei zu ergreifen. Es sei „bitter“, wenn soziales Ungleichgewicht „ausschließlich von SPD-Ministern eingeleitet“ worden sei und die SPD damit ihren Mitglieder- und Wähleranhang seit 1998 nahezu halbiert habe, erklärte Dreßler.

Der 62 Jahre alte Jurist Ottmar Schreiner erhielt am Samstag bei der Wahl zum Vorsitzenden des AfA-Bundesvorstandes 240 von 247 gültigen Stimmen. Das sind 97,1 Prozent, knapp sechs Punkte mehr als bei der letzten Wahl vor zwei Jahren. Schreiner, der ohne Gegenkandidat antrat, ist seit 2000 AfA-Chef. Der Saarländer hatte am Vortag vor den Delegierten die Sozialreformen der früheren rot-grünen Bundesregierung scharf kritisiert. Er forderte einen Mindestlohn in allen Branchen und eine Mindestrente.